Mein allererster Marathon
Im Grunde war mein Lieblingssport immer Fußball oder Tennis. Aber durch einen Arbeitskollegen, der den Wienmarathon gelaufen war, kam ich auf die Idee, auch mal einen Marathon zu versuchen. Da in diesem Jahr zum ersten Mal der Wachaumarathon veranstaltet wurde, meldete ich mich also an und trainierte für diesen Lauf.
Der Start erfolgt in Spitz an der Donau und ich hatte mir eine Zielzeit von 3:45 Stunden vorgenommen. Im Nachhinein betrachtet und unter Berücksichtigung meines viel zu geringen Trainingsumfangs ein völlig utopisches Ziel. Die ersten Kilometer spulte ich wirklich toll herunter und ich ließ meinen Kumpel auch nach ca. 4 km stehen, da ich ja eine Zeit deutlich unter 4 Stunden schaffen wollte. Alles ging bis zum Halbmarathon gut, aber danach begannen die Probleme.
Beim Laufen entlang der Donaulände spürte ich plötzlich Schmerzen in den Knien und den Adduktoren. Nach mehreren gequälten Kilometern konnte ich nicht mehr laufen und hätte vielleicht aufgeben sollen. Aber mein Stolz und mein Wille (vielleicht auch mein jungendlicher Leichtsinn?!?) ließen mich nicht aufhören. Somit legte ich mehrere Gehphasen ein, um diesen Marathon doch irgendwie durchzubringen. Selbst das Vorhaben, eine Sanistation zur Behandlung meiner Schmerzen aufzusuchen, nahm ich aus diesen Gründen nicht war.
Die Streckenführung tat ihr übriges. Es ging die Donaulände entlang wieder Richtung Spitz an der Donau und schließlich liefen bzw. gingen wir über Weißenkirchen wieder Richtung Krems. Als ich in Krems wieder einlief, quälte ich mich schon, aber ich wollte diesen Marathon unbedingt zu Ende bringen. Einen Schlußspurt konnte ich mir natürlich auch nicht verkneifen und so bewältigte ich diesen ersten Marathon unter großen Schmerzen mit einer Zeit knapp über 4 Stunden.
Daten und Fakten zum Marathonlauf
Datum | 20. September 1998 |
Start | 09:00 Uhr |
Ort - Start | Spitz an der Donau |
Ort - Ziel | Krems an der Donau |
Distanz | 42,195 km |
Ergebnis
Bezeichnung | Name | Gesamtzeit (hh:mm:ss) | Anzahl Finisher |
---|---|---|---|
Sieger HERREN | Antal SZÜCZS | 2:21:35 | 567 |
Sieger DAMEN | Dana HAJNA | 2:47:21 | 49 |
Gesamtzeit (hh:mm:ss) | 4:08:17 |
Gesamtrang | 489 |
Klasse | MH |
Klassenrang | 49 |
Bericht
Inhalt
Marathon! | |
Der Anstoss | |
Das Abenteuer beginnt | |
Zuversicht und Enttäuschung | |
Wiederauferstehung | |
Schlussspurt |
Marathon!
Der Marathon. Das sind 42195 m oder für den Nichtlaufbegeisterten ca. 42 km. Eine Distanz, die sich relativ gesehen, nicht besonders atemberaubend anhört. Fährt man heutzutage mit dem Auto, Zug oder einem ähnlichen Fortbewegungsmittel diese Entfernung, so benötigt man für diese Strecke gerade mal 45 Minuten oder sogar weniger. Sobald allerdings nicht ein Motor die Fortbewegung garantiert, wird einem doch bewußt, daß es einer gewissen Anstrengung bedarf, um diese Strecke in einem vernünftigen Tempo und in einer erträglichen Zeitspanne zu absolvieren. Auch ich habe mich nie mit diesen Fragen beschäftigt. Der Marathon war für mich immer ein Schlagwort. Natürlich habe auch ich immer die Leute bewundert, die es geschafft haben, diese Strecke zu bewältigen. Ich konnte es mir nie vorstellen, selbst einmal dieser Gruppe anzugehören. Ab und zu habe ich einen kurzen Zeitungsartikel über Marathons aufgeschnappt. Wer kennt nicht den berühmten NYCM oder den Vienna City Marathon. Siegerzeiten von etwas mehr als 2 Stunden liefen dort die Spitzenläufer. Oder die Teilnehmeranzahl? So um die 30.000 stand dort in den Zeitungen. Mit einem Aha habe ich diese Berichte zur Kenntnis genommen ohne weiter darüber nachzudenken, wieviel Aufwand um solche Veranstaltungen getrieben wurde und wieviel Anstrengung und Training für jeden dahinterstand, der diese Aufgabe bewältigen wollte. So richtig bewußt wurde mit dies erst, als ein Arbeitskollege sagte, er wolle den Wienmarathon laufen. Dies war zirka 2 Monate bevor dieser gestartet werden sollte. Insgeheim dachte ich zu mir, daß es schon eine große Sache sein würde sagen zu können:"Ich habe den Marathon geschafft!", doch andererseits erschien mir diese Tatsache so absurd, daß ich mich damit begnügte, meinen Kollegen eigentlich nur zuzuspechen um fleißig zu trainieren.
Der Anstoss
Irgendwie schien mich aber seine Begeisterung für dieses Event angesteckt zu haben und so beschloß ich zumindest einmal mit einem leichten Lauftraining zu beginnen. Zuerst waren es natürlich nur kürzere Strecken über 5 und 1,5 km. Auch die Regelmäßigkeit dieser Trainingseinsätze hielt sich in Grenzen. Am Anfang dachte ich mir, 1 mal pro Woche wird doch wohl genug sein, doch schon nach dem ersten beiden Läufen war ich von meiner Leistung zutiefst erschüttert. Der Grund war folgender: Ich lief dieser Tage nicht das erste mal über eine von mir persönlich mit dem Fahrrad vermessene Strecke, sondern ich hatte schon vor ca. 5 Jahren einmal einen Anfall von Laufsportenthusiamus verspürt, bei dem ich zur Ansicht gekommen war, daß aus mir einmal sicher ein großartiger Leichtathlet werden würde, und die Teilnahme bei den Olympischen Spielen nur eine Frage der Zeit sei. So ungefähr nach 2 Monaten war ich zur ernüchternden Erkenntnis gelangt, daß dem doch nicht so ist und mein Enthusiamus war rasch in Pessimismus umgewandelt. Daher beschloß ich diese Karriere als hoffnungsvoller Geheimtip unter den zukünftigen Olympioniken wieder aufzugeben und beendete dieses kurzfristige Intermezzo.
Allerdings war ich damals so schlau gewesen, alle gelaufenen Zeiten zu notieren um Vergleichszeiten für spätere "Anfälle von Laufwahn" zu haben. So hatte ich also eine gute Möglichkeit, die Zeiten von damals mit den jetzigen zu vergleichen. Die Abweichungen waren derart groß, daß ich an mir selbst als ehemaliger Fußballspieler und aktiver Tennisspieler zweifelte. Andererseits war es aber auch ein Ansporn, da ich es einfach nicht akzeptieren wollte, daß ich über 5 km vor 5 Jahren um mehr als eine Minute schneller gelaufen war als heute. Auch dachte ich mir, daß dies ja erst der Anfang meines Lauftrainings war und somit nicht wirklich ein Maßstab war. So nahm ich mich Woche für Woche zusammen und versuchte zumindest einmal über 5 bzw. auch 1,5 km meine damaligen Bestzeiten nur annähernd zu erreichen. Es war nicht leicht für mich, dies jede Woche zu tun, denn ich hatte eine gewisse Scheu davor, auf den Feldwegen herumzulaufen und mich als nach sportlichen Ausgleich suchenden Bürohengst den ortsansässigen Landwirten zu präsentieren. Doch irgendwie trieb mich eine innere Kraft dazu, auf die etwas seltsam wirkenden Blicke nicht zu achten, und einfach meinen Weg zu gehen oder besser gesagt meinen Weg zu laufen.
Als ich kaum zwei Monate trainiert hatte, und der Wiener Marathon vor der Tür stand, war mir bewußt, daß dieses Unterfangen für mich nicht durchführbar war. Mein Kollege dachte anders über diese Tatsache und lief den Marathon unter 4 Stunden. Ich war auf eine eigene Art neidisch, aber auch zugleich voller Bewunderung für ihn, denn ich wußte jetzt nur zu gut welche Leistung er vollbracht hatte. Doch für mich war dieses Thema nun vorübergehend ad acta gelegt, da ein Marathon für mich im Ausland nicht in Frage kam und im Inland kein mir bekannter mehr veranstaltet werden würde. Doch auch hier verleitete mich mein Kollege. Er zeigte mir ein Prospekt, in welchem der erste Wachaumarathon angespriesen wurde. Da dieser nicht sehr weit von meinem Wohnort entfernt war und auch mein Kollege sagte, er würde ihn laufen, da sagte auch ich zu mit ihm gemeinsam den Marathon zu laufen. Also begann ich von neuem mit dem Training, da ich vorübergehend durch diverse Ausreden gegenüber mir selbst, daß Laufen unterlassen hatte. Das Laufen gestaltete sich zeitweise schwierig, da gerade Erntezeit war und daher viele Landwirte auf den Feldwegen mit ihren Traktoren und Anhängern unterwegs waren. Aber in mir kam immer mehr ein Gefühl auf, das ich bis dahin noch nicht verspürt hatte. Ein gewisses Gefühl von Stolz. Ich war stolz auf mich, daß ich von Woche zu Woche meinen eigenen Bestzeiten von vor einigen Jahren immer näher kam und dann sogar unterbieten konnte. Also trainierte ich mit immer mehr Selbstvertrauen dem Vorhaben Marathon entgegen und war inzwischen so überzeugt von meiner Leistungsfähigkeit, daß ich keinen Zweifel mehr daran hatte, den Marathon sicher zu bewältigen. Natürlich wußte ich, daß es ein Kampf sein würde, denn bei jedem Lauf mußte ich kämpfen um das Ziel in dem Zeitrahmen zu erreichen, wie ich es mir zuvor gesetzt hatte. Doch als ich mit meinem Bruder zur Anmeldung fuhr, war ich überzeugt, diese Strecke zumindest in 3:45 Stunden zu bewältigen.
Das Abenteuer beginnt
Nachdem ich mich mit meinem Kollegen am Vortag verabredet hatte, daß wir uns in Krems treffen und das uns dann mein Bruder nach Spitz transportieren wird, versuchte ich mir noch am Marathontag Mut zuzusprechen. Ich stand eigentlich völlig ruhig in der Früh auf, trank meinen Kaffee wie auch sonst am Morgen und hatte meinen gewohnt störungsfreien Schlaf hinter mir. Nun konnte das Abenteuer Marathon also losgehen. Während der Fahrt von Eggendorf nach Krems dachte ich immer wieder darüber nach ob ich auch alles bedacht hatte und ja nichts vergessen hatte. Doch ich war innerlich eigentlich erstaunlich gelassen, als wenn dieser Marathon für mich schon zur Routine geworden wäre. Als ich und mein Bruder in Krems eintrafen parkten wir uns in der Nähe der Halle ein, wo die Anmeldung stattgefunden hatte. Vis a Vis von der Halle war bereits hektisches Treiben, da dort sowohl die Halbmarathon- als auch die Marathonankunft war und sich bereits viele Aktive wie auch Zuschauer eingefunden hatten. Wieder kam mir in den Sinn ob ich nicht vielleicht doch etwas vergessen hatte. Viele Leute gingen vorbei, die Laufhosen anhatten und bereits die Laufschuhe geschnürt hatten. Ich dagegen stand nach wie vor wie ein "Zivilist" in Jeans und Lederjacke da. Andere hatten wiederum lange Laufhosen an, sodaß mir in den Sinn kam, daß es vielleicht doch besser gewesen wäre meine lange Trainingshose mitzunehmen, aber diesen Gedanken verwarf ich bald wieder, da für mich ein Marathon nur in kurzer Hose in Frage kam. Also warteten wir weiterhin auf meinen Kollegen. Die Hände waren in die Hosentaschen verschwunden, da es doch relativ frisch war. Als mein Kollege kam, setzten wir uns gemeinsam ins Auto und es ging auf nach Spitz, wo der Start dieses Marathons stattfand. Der Weg zum Start war mir natürlich nicht unbekannt, da ich in meiner vorausschauenden Art bereits am Vortag die örtlichen Begebenheiten erkundet hatte. Auch in Spitz waren bereits hunderte Läufer am Straßenrand versammelt, die sich alle durch kurzes Skipping oder durch andere Tätigkeiten versuchten, ihre Muskeln warm zu halten. Da es unmöglich war auf der Hauptstraße einen Parkplatz zu finden, mußten wir in eine Seitenstraße in Spitz einbiegen. Nachdem mein Kollege bereits umgezogen zum Treffpunkt kam, war ich nun der einzige der sich noch in Laufmontur zu schmeisen hatte. Nachdem ich meine Radlerhose, Laufhose, Socken (sie waren sogar etwas schmutzig, da ich sie schon öfters benutzt hatte) und die Turnschuhe angezogen hatte, war nun die Frage, ob ich nur das ärmellose Laufleibchen anziehen oder doch auch ein T-Shirt darunter anziehen sollte. Ich entschied mich für zweitere Variante und versuchte meinen Bruder noch einmal klarzumachen wie er das Erinnerungsfoto von mir und meinen Laufkollegen zu machen hatte. Diese Belehrung fiel allerdings auf keinen sehr fruchtbaren Boden und daher mußte ich mich des Selbstauslösers meines neuen Fotoapparates bedienen. Anschließend gingen ich und mein Kollege zum Startareal wo sich natürlich schon sehr viele LäuferInnen herumtrieben. Hier waren wirklich die buntesten Vögel versammelt. Vom vorbeilaufenden späteren Halbmarathonsieger Buchleitner bis zu etwas übergewichtigen Damen und Herren war hier ein illustres Feld versammelt. Großer Andrang herrschte naturgemäß auch bei den WC's. Obwohl an die 10 mobilen WC's aufgestellt waren, bildeten sich doch Menschenschlangen, da noch jeder seine Blase entleeren wollte, um dies nicht später während des Marathons erledigen zu müssen. Auch ich stellte mich an, nachdem ich noch einen kurzen Schluck Mineralwasser zu mir genommen hatte. Anschließend gingen ich und mein Kollege zu den Kleidungsbussen und packten unsere überflüssigen Kleidungsstücke in die Papiersäcke. Klugerweise hatte ich nicht bedacht, daß die Papiertasche, welche bei der Anmeldung ausgegeben worden war, auch gleichzeitig als Kleidersack diente und diesen hatte ich im Auto gelassen. Aber mein Kollege stopfte meine Lederjacke, die eigentlich mein einziges zu verstauendes Stück war in seinen Sack dazu, und damit war auch diese kurze Schrecksekunde überwunden.
Ich spürte immer mehr das eigenartige Gefühl im Magen, welches sich immer mehr breitmachte, desto mehr sich der Zeitabstand zum Start verringerte. Nach einem kurzen Einlaufen, wo wir auch den Betriebsarzt der Creditanstalt trafen, war es dann endlich soweit. Via Lautsprecher wurden die Teilnehmer an den Start gebeten. Die Teilnehmer des Marathons in einer Seitengasse, die Halbmarathonteilnehmer in einer Parallelgasse. Noch einmal sprach ich mir ein letztes Mal Mut zu und ich und mein Kollege machten noch einen kurzen Scherz über das Gedränge das am Start herrschte. Nachdem wir uns die Hände geschüttelt hatten und gegenseitg alles gute gewünscht hatten, ertönte der Startschuß. Jeder versuchte ja nicht einem anderen auf den Schuh zu steigen oder ihn auf eine andere Art beim Laufen zu behindern. Auch ich blickte immer wieder auf den Boden, um ja niemanden unfreiwillig die Schuhe auszuziehen oder sonstige harmlosen "Attentate" auf andere Läufer zu verüben. Kurzfristig entschwand mein Kollege immer wieder aus meinem Blickfeld, aber ich erblickte ihn immer wieder relativ rasch und versuchte ihn durch kurze Spurts wieder einzuholen. Nach wenigen Minuten hatte sich das große Gedränge aufgelöst und das ganze Feld lief eigentlich in relativ hohen Tempo an der 1 km Markierung vorbei. Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet mir, daß das Gedränge weniger arg gewesen war, als ich es mir erwartet bzw. befürchtet hatte. Da ich und mein Kollege verschiedene Vorstellungen von der Zeit hatten, in der wir den Marathon absolvieren wollten, trennten wir uns nach bei ca. 3 bis 4 km mit einem kurzen "Tschau" und "Viel Glück". Da ich die schnellere Zeit im Visier hatte, überholte ich nach und nach Läufer um Läufer und fühlte mich wirklich gut. Ich war zu diesem Zeitpunkt sehr zufrieden mit mir, denn ich hatte mir nicht erwartet das ich die ersten Kilometer so leicht herunterspulen konnte. Als ich bei Kilometer 5 meine nächste Zwischenzeit stoppte war ich überzeugt: Ich würde die 3:45 Stunden leicht schaffen. Noch immer überholte ich einige Läufer, wenn auch nicht mehr so zügig wie zu Beginn des Rennens. Es kam die erste Verpflegungsstation in Sicht und es herrschte ein ziemlicher Andrang. Da ich allerdings wußte, wenn ich nur eine Verpflegung zu viel pausieren würde, würde ich einbrechen, schnappte ich mir beim Laufen einen Becher Mineralwasser, trank ihn bis zur Hälfte aus und warf ihn weg. Weiter gings. Nach der 10 km Durchgangszeit war ich weiterhin sehr zuversichtlich, meine geplante Zeit zu erreichen. Ich versuchte inzwischen auch, mich an verschiedensten Personen zu orientieren, die ca. mein Tempo zu liefen schienen. In der Zwischenzeit hatten mich aber auch einige Läufer überholt. Am Anfang machte mich dies etwas stutzig, aber mit der Zeit wußte ich, das ich einzig und allein nur mein eigenes Tempo zu laufen hatte.
Danach kam der Tunnel von Dürnstein. Es machte sich plötzlich ein leichtes Stechen in der rechten Hüfte bemerkbar. Als es stärker wurde, versuchte ich durch heftiges Ausatmen und durch langsameren Schritt dies auszugleichen. Als ich den Tunnel passiert hatte, war das Seitenstechen vergangen, aber es hatten mich auch einige Läufer überholt. Also versuchte ich dies durch etwas schnelleres Tempo wieder aufzuholen, was ich durch mein Seitenstechen verloren hatte. Vielleicht war es ein Fehler, aber ich war mir in diesem Moment so sicher, daß mir kein anderer Gedanke als Aufzuholen in den Sinn kam. Ich bewunderte auch die vielen Menschen die sich am Rand versammelt hatten um die LäuferInnen anzufeuern und ihnen schon so früh am Morgen am Sonntag Unterstützung gaben. Auch ich fühlte mich von diesen Anfeuerungen in irgendeiner Weise betroffen und versuchte dies auch durch ein leicht gequältes Lächeln zum Ausdruck bringen zu wollen. Die nächste Verpflegungsstation ließ ich an mir vorüberziehen, da mir zu viele Leute an dieser Station standen und ich ein gewisses Völligkeitsgefühl in mir verspürte. Als ich diese allerdings passiert hatte, wußte ich, daß dies die erste und letzte Verköstigungsstelle sein würde, die ich nicht anlaufen würde. Nunmehr war ich inzwischen in einen gewissen Trott hineingekommen, der mir gefiel. Ich kontrollierte immer wieder meine Beine durch leichtes Hinuntersehen und konnte zu meiner vollsten Zufriedenheit feststellen, daß sie zu diesem Zeitpunkt weder schwerer wurden noch sonstige Müdigkeitserscheinungen zeigten.
Zuversicht und Enttäuschung
Nach 15 Kilometern stoppte ich wieder einmal meine Durchgangszeit. Objektiv war ich der Meinung, daß ich nicht wirklich langsamer geworden war, aber meine Uhr zeigte mir etwas anderes an. Meine durchschnittliche Kilometerleistung hatte sich etwas verschlechtert. Trotzdem versuchte ich in dem Tempo zu bleiben um einerseits keine unnötige Kraft zu verlieren und andererseits meinen Laufrhytmus nicht aus dem Konzept zu bringen. Als ich dann endlich Krems erblickte, glaubte ich zu wissen, daß ich schon einen wichtigen Schritt in Richtung gute Marathonzeit getan hatte. Auch nachdem ich das Halbmarathonziel durchlaufen hatte, war ich nach wie vor der Meinung, es in diesem Tempo wirklich gut zu schaffen.
Die zweite Hälfte des Marathons begann nicht wirklich gut. Aufgrund der Streckenführung mußte ich nach Überqueren der Halbmarathonstrecke nach links in eine relativ schmale Seitenstraße einbiegen, durch eine Bahnunterführung durchlaufen und lief dann Donauabwärts. Plötzlich begannen die Probleme. Obwohl ich bei den letzten Trainingsläufen keine Schmerzen an den Knien und im Aduktorenbereich verspürt hatte, so hatte ich doch immer wieder die Befürchtung gehabt, daß diese wieder einmal auftreten könnten. Ich hatte mich vor einiger Zeit einmal bei einem 15 km Trainingslauf verletzt und mußte daher etwas kürzer treten. Die Verletzung betraf eine Zerrung in der Aduktorengegend meines rechten Beines. Und auch hier schien nun die kritische Phase des Marathons zu beginnen. Als ich die 23 km Marke passierte sah ich wieder einmal auf die Uhr und rechnete mir im Kopf in etwa meine Kilometerdurchschnittszeit aus. Nach 24 und nach 25 tat ich dasselbe. Immer mehr tat mir mein rechtes Knie und die Aduktoren weh. Ich mußte etwas Tempo zurücknehmen, in der Hoffnung, daß die Schmerzen nachlassen würden. Aufgrund dieser doch recht radikalen Tempoänderung überholten mich Läufer, welche noch 2 bis 3 km vorher, weit hinter mir gelegen waren. Der Versuch, mich an anderen anzuhängen, die mich gerade überholten, scheiterte meistens schon im Ansatz. Bei der Richtungsänderung von Donauabwärts auf -aufwärts erblickte ich plötzlich auch wieder meinen Kollegen, der auch schon sehr ermüdet aussah. Er rief mir zu, daß er bald aufhören müsse, da er eine rießengroße Blutblase an seiner Zehe habe. Ich weiß nicht, vielleicht um mich solidarisch zu zeigen oder nur aufgrund meiner derzeitigen Verfassung zeigte auch ich mit dem Daumen nach unten um ihm mitzuteilen, daß ich nicht unbedingt mehr in Vollbesitz meiner Kräfte bin. Aber ich wollte es mir trotz alledem nicht eingestehen, daß ich den Marathon nicht schaffen würde. In dem Moment versuchte ich einfach an andere Dinge zu denken, wie die Arbeit (was ich sofort wieder verwarf), das Training, welches ich seit einem halben Jahr auf mich genommen hatte und andere Dinge, um mich ja von diesen Problemen abzulenken. Leider wurden die Schmerzen besonders im rechten Knie immer stärker und stärker. Als ich Krems wieder verlassen hatte, war es kaum noch auszuhalten. Bei jedem Schritt mit dem rechten Fuß verursachte das rechte Knie höllische Schmerzen. In diesem Moment war ich auf einen Schlag ratlos. Ich hatte nun über 30 km zurückgelegt. Meine Zwischenzeiten waren einfach miserabel und ich konnte mir im Augenblick nicht vorstellen, wie ich es überhaupt ins Ziel zurückschaffen sollte. Meine Schritte wurden immer kürzer und mein Knie schmerzte immer mehr. Plötzlich ließ mich auch mein Willen im Stich und mein Laufen war keines mehr. Sogar das Gehen verursachte mir in diesem Moment schmerzen. Es gingen mir verschiedenste Dinge durch den Kopf. Sollte ich die bereits zurückgelegte Distanz vergessen und mich einfach umdrehen und nach Krems zurückgehen. Nein, das konnte nicht sein. Ich war mittlerweile soweit gekommen, also mußte ich es einfach schaffen. Wieder versuchte ich meinen Körper zum Laufen zu bewegen. Der Versuch endete nach zirka 200 m. Wiederum mußte ich die Laufschritte in normale Gehschritte umkehren. Als eine Verpflegestation in Sichtweite kam raffte ich mich wieder auf und machte einige Laufschritte um zumindest denEindruck zu erwecken, daß ich nicht schon mehr zur Aufgabe als zum Weitermachen neigte. Ein Becher isotonisches Getränk und eine Banane erschienen mir in diesem Moment wie wenn ich mich an einen Tisch setzen würde, auf dem ein saftiges Schnitzel und ein gutes Bier stehen würden. Da ich die Verpflegung im Gehen einnam konnte ich mich auch einige Zeit nicht aufraffen, wieder das Laufen zu versuchen. Ich führte ständig Selbstgespräche mit mir, forderte mich auf doch wieder zu laufen. Sogar mich überholende Läufer wollten mich anfeuern um weiterzumachen, aber in diesem Augenblick konnte ich nicht. Sowohl mental als auch kräftmäßig war ich vollkommen am Ende. Noch immer waren fast 10 km zu laufen und ich konnte schon jetzt fast keinen Schritt mehr tun. Mir wurde bewußt, daß sich das Tempo, daß ich zu Beginn gegangen war für mich einfach zu hoch war und das ich diesem nun höllischen Tribut zollen mußte. Auch Zuschauer am Rande der Strecke sagten immer wieder:"Weitermachen" oder "Hoppauf" um mich irgendwie wieder zum Laufen zu bringen. In diesem Moment kamen mir erstmals die Gedanken, warum tust du dir das alles eigentlich an. Warum machst du so einen Blödsinn oder was bringt dir das außer Schmerzen und Qualen? Immer wieder redete ich auf mich selbst ein, wie man nur so blöd sein kann, sich zu etwas hinreißen zu lassen und so etwasdummes zu tun. Nach etwa 15 Minuten gehen, sah ich dann die Erste Hilfe Station des Roten Kreuzes. Da nahm ich mir vor, ich gehe jetzt zu den Sanitätern und werde sie um eine Salbe bitten, welche die Knieschmerzen lindert.
Wiederauferstehung
Es waren vielleicht 500 m zur Sanistation. Ich raffte mich auf und versuchte wieder leicht zu Laufen, um die Station schneller zu erreichen. In Wirklichkeit war es gar kein Laufen, sondern ein etwas zügigeres Gehen. Als allerdings vor mir 2 Läufer waren, konnte ich es einfach nicht tun. Irgendwie wäre es für mich eine Art Erniedrigung gewesen jetzt, nach ca. 33 oder 34 km zur Rot Kreuz Station zu gehen und mich verarzten zu lassen. Also lief ich mit gequälten Gesichtsausdruck an den Sanitätern vorbei, die mich auch seltsam mit ihren Blicken begutachteten, ohne auch nur den Anstand zu machen, bei Ihnen anzuhalten. Mit einem Schlag schien auf einmal der Wille wieder vorhanden zu sein. Ich lief zwar kein großartiges Tempo, aber ich konnte endlich wieder meinen Willen auf meine Beine übertragen. Als ich in diesem Moment an einem Heurigen vorbeilief rief ich mir selbst zu, daß ich schaffen werden und wenn ich auf allen Vieren ins Ziel kriechen muß. Auf einmal hatte ich wieder diesen Stolz in mir, den ich auch im Training hatte, wenn ich mit mir zufrieden war. Ich überholte nun sogar teilweise ein paar andere Läufer. Es waren nicht sehr viele, aber es machte mir doch Mut und ich hatte endlich wieder das Gefühl nicht derschlechteste Läufer in diesem Feld zu sein.
Natürlich ließ ich mir jetzt bei jeder Raststation Zeit, da ich jede Verschnaufpause gut gebrauchen konnte. Als ich wieder auf die Hauptstraße Richtung Krems einbog, wußte ich: Niemand kann mich mehr daran hindern, daß ich das Ziel erreiche. Seit nunmehr einer halben Stunde hatte ich nicht mehr auf die Uhr geblickt, so sehr war ich mit mir beschäftigt. Aber nun blickte ich wieder regelmäßiger auf die Uhr, um meine Kilometerzeiten wieder zu überprüfen. Diese waren zwar jenseits meiner planmäßigen Zeiten, aber das machte mir in diesem Moment herzlich wenig aus. Nein, eigentlich spornte es mich an, diese leicht zu verbessern, denn ich wollte im Augenblick doch zumindest eine Zeit erreichen, die unter 4 Stunden liegen sollte. Ich beobachtete nun wieder auch andere Läufer, von denen manche ebenso mit sich selbst mehr zu kämpfen schienen, als auf andere zu achten. Es überholten mich auch 2 Läufe, die mit Hemd und Krawatte bekleidet waren. Dies lockte mir ein leichtes Grinsen hervor, denn auch so etwas muß einmal geschafft werden. Als ich endlich in Krems eintraf schienen bei mir auf einmal wieder Kräfte freizuwerden, von denen ich vor 10 km nicht einmal etwas geahnt hätte. Noch einmal begab ich mich zur letzten Verpflegestation, nahm einem kräftigen Schluck Isotonisches und stopfte mir eine Banane hinein. Danach versuchte ich wieder in meinen inzwischen schon sehr plump wirkenden Laufstil wieder zurückzufinden und bog Richtung Hauptstraße ein. In dem Moment konnte ich zwar noch nicht das Ziel sehen, aber ich konnte es hören. Ich versuchte mein Tempo ein letztes Mal noch zu erhöhen. Es war nicht sehr viel schneller, aber ich wollte zumindest den Eindruck hinterlassen, daß ich wie ein tapferer Krieger diese Aufgabe bewältigt habe. Endlich war das Ziel vor mir. Noch einmal schossen mir die verschiedensten Gedanken durch den Kopf.
Schlussspurt
Die wirklich gute Halbmarathonzeit, das gute Tempo am Anfang des Marathons, der Einbruch bei 2/3 der Strecke, die zeitweise Hoffnungslosigkeit und schließlich und endlich doch mein Wille, das Rennen beenden zu wollen. Als ich bereits den Sprecher hörte, wie er verschiedenste Namen aufrief, die gerade in diesem Moment das Ziel überquert hatten mobilisierte ich meine allerletzten Energien. Noch einmal versuchte ich meine Schritte zu vergrößern. Ungeachtet meiner Knieschmerzen, ungeachtet meiner Unfähigkeit den rechten Fuß voll zu belasten, da sich zu allem Überdruß auch noch eine Blutblase auf meiner großen Zehe gebildet zu haben schien. Es wurde sogar noch ein Läufer von mir überholt als ich nur mehr wenige Meter vom Ziel entfernt war. Nun war es endlich soweit. Ich sah auf die Zeitnehmung, die über dem Zieleinlauf hing und auch auf meine Uhr, wie wenn ich die Zeiten vergleichen wollte. Aber alles was ich feststellen konnte war, das ich bereits über 4 Stunden gelaufen war und nur mehr das Ziel vor Augen hatte. Als der Sprecher meinen Namen und meine Startnummer ausrief verspürte ich plötzlich das Gefühl, wie wenn ich soeben einen Rekord gebrochen hätte und ich an den Olympischen Spielen teilnehmen dürfte. Ich biß die Zähne zusammen und überquerte mit verzerrtem Gesicht die Ziellinie, wo ich auch meinen Bruder erblickte.
In meiner Aufregung vergaß ich in dem Augenblick, meine Stoppuhr abzustellen. Dies fiel mir erst einige Sekunden später ein. Aber dies war mir momentan völlig egal. Ich hatte den Marathon geschafft. Auch die Zeit, auf die ich eigentlich großes Augenmerk legen wollte, war mir in diesem Moment vollkommen egal. Ich war glücklich etwas vollbracht zu haben, auf das ich wirklich unglaublich stolz war. Als ich dann in den Bus ging, wo die Bekleidung transportiert worden war, hatte ich nun auch die Gewißheit, daß mein Kollege aufgegeben hatte. Aber auch das schien mir im Moment nebensächlich zu sein. Ich hatte es geschafft und nur das zählte im Augenblick für mich.
Nachdem mich mein Bruder nach Hause chauffiert hatte (es wäre für mich Unmöglich gewesen, selbst nach Hause zu fahren) und ich meine Laufschuhe und Socken auszog, da realisierte ich erst die ganze Wahrheit über meine Verletzungen. Auf der rechten großen Zehe hatte ich eine Blutblase, die unglaublich war. Mein rechtes Knie konnte ich nicht abbiegen und meine Aduktoren schmerzten auch ziemlich stark. Trotz dieser Verletzungen und Schmerzen wußte ich aber ab diesem Moment: Ich werde diese Qualen wieder auf mich nehmen um das nächste Mal besser abzuschneiden. Es hört sich vielleicht für den, der mit Marathon noch nichts zu hatte vielleicht ein klein wenig pervers an, aber mögen die Qualen und die Schmerzen auch noch so groß sein. Am Ende gehört man jener auserwählten Schar an, die es in ihrem Leben geschafft haben, einen großen Kampf zu ewinnen. Den Kampf gegen den inneren Schweinehund. Nocheinmal möchte ich allen enschen, die einen Marathonlauf absolviert haben, meine größte Bewunderung aussprechen. Denn nun weiß ich wirklich was es heißt, einen Marathon, unfaßbare 42195 Meter gelaufen zu sein.